Alte Haustierrassen in OstFriesland

Haltung und Zucht alter, bedrohter Haustierrassen.

 

Urviecher - Klasse statt Masse

"Transparenz schaffen" - von der Ladentheke bis zum Erzeuger

Ein Projekt des Umweltzentrums Ökowerk Emden auf einem 155 Hektar großen Areal an der Knock bei Emden, direkt an der Emsmündung / Nordsee.

 

„Urviecher – Klasse statt Masse“ heißt das regionale Projekt, das im Rahmen des niedersachsenweiten Gesamtprojektes „Transparenz schaffen – von der Ladentheke bis zum Erzeuger“ vom Umweltzentrum Ökowerk Emden seit dem Jahr 2001 koordiniert wird.

Beim Regionalprojekt geht es um die Haltung und Zucht alter, bedrohter Haustierrassen. Sie sind in ihrer Angepasstheit an die unterschiedlichen regionalen Standortbedingungen viel robuster als die heutigen hochgezüchteten Fleisch- und Milchlieferanten und können zudem noch dazu beitragen, die typischen ostfriesischen Kulturlandschaften zu erhalten.

Ziel des Gesamtprojektes ist es, regionale Dialogstrukturen zwischen Konsumenten, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Lebensmittelhandel aufzubauen und so Kommunikations- und Lernnetzwerke zum Themenfeld „Verbraucherschutz – Ernährung – Landwirtschaft“ zu etablieren. Die Partner dieses Gesamtprojektes sind Umweltbildungseinrichtungen, Landwirte, Verbraucherschützer, Kommunen und landwirtschaftliche Museen in Niedersachsen.

Die wichtigsten Kooperationspartner des Ökowerks im Rahmen des Regionalprojektes sind:

  • der NABU-Lernbauernhof „Woldenhof“, Wiegboldsbur
  • der Landwirt und Betreuer der Rinderherden Gerd-Udo Heikens, Campen
  • der Landwirt und Betreuer der Schafherden Eilert Meyer, Wiesmoor
  • der Rassegeflügel Zuchtverein 1873 (Betreuung der Gänse und Hühner), Emden
  • das Landwirtschaftliche Museum, Campen
  • der Landwirtschaftliche Hauptverein, Emden
  • das Wasser- und Schifffahrtsamt, Emden
  • die Verbraucherzentrale, Emden
  • eine Vielzahl von Schulklassen und Kindergärten, Emden und Region

Heckrinder

 

Im nordwestlichen Teil des Emder Stadtgebietes liegt der Rysumer Nacken, ein in die Emsmündung hineinreichender Marschenvorsprung. Dem Meer abgerungen und in früheren Zeiten landwirtschaftlich geprägt, ist die heutige „Knock“ nun ein Gebiet voller positiver Gegensätze.

Wer denkt heute noch darüber nach, dass die Entstehung dieser Landschaft ganz eng mit dem Emder Hafen einherging und dass ohne die großangelegten Aufspülungen in Emdens nordwestlichem Stadtgebiet weder Hafen noch andere Industrien entwicklungsfähig gewesen wären? Oder dass es dort ohne die Landwirtschaft heute sicher nicht ein großes Tier- und Pflanzenparadies aus zweiter Hand gäbe! Auch bei vielen Tages- und Wochenendtouristen ist die Knock mit dem weiten Blick über den Dollart und den an der Nordseeküste doch eher seltenen kleineren Sandstränden ein beliebtes Ausflugsziel.

Der Rysumer Nacken wird durch die Nordsee, die eulitoralen Wattflächen der Emsmündung und die angrenzenden landwirtschaftlich genutzten Meedengebiete der Gemarkungen Wybelsum und Rysum begrenzt.

Im Rahmen eines Beweidungsprojektes sollen die Belange einer artgerechten Tierhaltung in Einklang gebracht werden mit den Interessen der Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte und dem Informationsbedarf der Konsumenten. Darüber hinaus trägt die erarbeitete Konzeption dazu bei, statt eines eher landschaftsuntypischen hohen Vegetationsaufwuchses wieder das für unsere Küstenregion ursprüngliche Bild einer offenen, ostfriesischen Meedenlandschaft zu entwickeln.

Auf den aufgelassenen Spülfeldern soll durch die Beweidung mit alten, robusten Rinderrassen (Galloways und Heckrinder) ein Beitrag zum Erhalt der standorttypischen Landschaft in Ostfriesland geleistet werden, die sich ohne den bäuerlichen Einfluss nicht einstellen würde. Durch diese extensive Weidewirtschaft profitiert besonders die regionaltypische heimische Pflanzen- und Tierwelt.

Durch eine Kooperation mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt Emden (Bereitstellung von Weideund Naturschutzflächen) und nach intensiven Gesprächen mit Landwirten aus der Region wurde im Frühjahr 2001 mit den Vorbereitungen für dieses neue praxisorientierte Projekt begonnen.

Das zu Projektbeginn vom betreuenden Landwirt Gerd-Udo Heikens eingezäunte ca. 130 ha große erste Areal wurde im Frühjahr 2002 auf insgesamt 155 ha vergrößert. Mit 155 ha zusammenhängender Fläche dürfte dieses Projekt eines der größten in ganz Nordwestdeutschland sein.

Luftaufnahme: Beweidungsgebiet an der Knock

 

Alle Haustiere stammen von Wildtieren ab. Sie sind ein „Kunstprodukt“ des Menschen, die er sich durch mannigfache Abwandlung von psychischen, physiologischen und anatomischen Merkmalen seit Jahrzehnten, Jahrhunderten oder Jahrtausenden zu Nutze gemacht hat.

Die heute mit enormen technischen Aufwand konstruierten modernen Hochleistungsrassen für die Massenproduktion haben als einseitige Nutztiere (sog. Einnutzungsrassen) die früher meist nur regional verbreiteten alten Rassen verdrängt. Das vielfältige Leistungsvermögen, die Vitalität und die wertvollen Eigenschaften alter Lokalrassen werden bis heute unterschätzt:

  • gute Konstitution
  • Langlebigkeit
  • hohe Fruchtbarkeit
  • geringe Geburtsschwierigkeiten
  • gute Muttereigenschaften
  • Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten
  • besondere Qualität der Produkte
  • Anpassungsfähigkeit und Genügsamkeit

Altrassen sind solche, die schon vor dem 2. Weltkrieg als Mehr- oder Vielnutzungsrassen (Milch, Fleisch, Fell, Zugtier,...) im Einsatz für den Menschen standen. Diese Nutztiere besitzen noch bis zu 80 % der vitalen Erbeigenschaften ihrer wilden Vorfahren und müssen daher auch anders gehalten werden als heutige moderne Rassen, d.h. möglichst in Familiengruppen bei ganzjähriger Freilandhaltung.

 

Zahlreiche der rund 5.000 Nutztierrassen sind bereits ausgestorben. Mit jeder ausgelöschten Rasse geht aber auch wertvolles Erbgut verloren.

Seltene und alte Haustierassen unterstreichenden Charakter bestimmter Landschaften. Sie sind Ausdruck von Lebensqualität jener Menschen, in deren Obhut und Umfeld sie als Rasse mit ganz bestimmten Nutzungsansprüchen für die Züchter entstanden sind. Sie sind heute eine notwendige genetische Reserve für viele bei den modernen Rassen verlorengegangene Eigenschaften.

Auch das Wissen um traditionelle Zucht und Nutzung der alten Landrassen droht heute auszusterben. Somit ist das Kulturgut „Alte Haustierrassen“ so erhaltungswürdig wie Baudenkmäler oder wertvolle, alte Gemälde, Bücher und Bäume.

Als gefährdet wird eine Rasse bezeichnet, wenn der Bestand unter eine Mindestbestandszahl (z.B. beim Schwarzbunten Niederungsrind: 7.500, bei der Moorschnucke: 15.000) abgerutscht ist und sich über einen Zeitraum von zwei Jahren durchschnittlich um mindestens 10% verringert.

Die Rote Liste der gefährdeten Nutztierrassen nimmt Einstufungen in folgende Kategorien vor:

  • extrem gefährdet
  • stark gefährdet
  • gefährdet
  • zur Bestandsbeobachtung
  • nur noch Einzeltiere.

Heidschnucken
Foto: ghn (2003)

 

Das Ökowerk Emden möchte im Rahmen des Projektes „Urviecher – Klasse statt Masse“ auch im Sinne von Transparenz und Verbraucherschutz einen Beitrag zum Erhalt dieser wundervollen Wegbegleiter des Menschen leisten. Folgende bedrohte Haustierrassen sollen im Ökowerk erhalten und präsentiert werden:

  • Rinderrassen: Galloway-Rinder, Heckrinder
  • Landschafrassen: Moorschnucken, Graue Gehörnte und Weiße Gehörnte Heidschnucken
  • Gänserassen: Emder Gänse
  • Hühnerrassen: Ostfriesische Möwen

Die Haltung und Nutzung weiterer alter Haustierrassen ist in Planung.

 

Zur Verfügung gestellt wurde uns der Artikel und die Fotos -wenn nicht anders angegeben- vom Ökowerk Emden, dort von Holger Ahlborn, Dipl. Geograph / Landschaftsökologie. Seine Zuständigkeitsbereiche im Ökowerk: Projektleitung, Biotopmonitoring, Kooperationen, Öffentlichkeitsarbeit.

 

ghn4nwr 2005